An den rechten Rand gedrängt

Oberweißbachs Bürger fühlen sich durch die Terror-Ermittler verunglimpft

Erfurt/Oberweißbach (dv/dapd). Auf den Höhen des Thüringer Waldes scheint Herbstsonne, in der Nacht war es auf den Straßen teils glatt. In Oberweißbach rauchen die Kamine. Alles scheint ein Novembertag, wie man sie seit Menschengedenken hier kennt. Da ist die schmucke Hoffnungskirche, das größte Thüringer Dorf-Gotteshaus. Da ist das Fröbelmuseum, benannt nach dem Kindergarten-Begründer und großen Pädagogen, der hier lebte. Da freuen sich die Kinder aufs vorweihnachtliche Lichterfest. Da tut die Bergbahn unermüdlich ihren Dienst und bringt die Passagiere vorbei an der Wirtschaft Bergbahn“.

Fatale Schlagzeilen
Drinnen bereitet der Wirt sich auf den Tag vor. Er poliert ein paar Gläser, dann hält er inne. „Seit ein paar Tagen meinen alle, ich bin ein Nazi. Ein paar Touristen haben nach den Schlagzeilen sogar ihre Urlaubsbuchungen storniert. Schlimm, was diese Schlagzeilen anrichten.“

Die Schlagzeilen sind nach einer Erklärung des Bundeskriminalamts (BKA) entstanden. Da wurde die Familie der getöteten Polizistin Michèle Kiesewetter mit der Gruppe gewaltbereiter Neonazis in Verbindung gebracht, aus der die drei Kriminellen kommen, die eine Spur der Gewalt durch Deutschland gelegt haben.

Unter anderem töteten sie wohl auch die Polizistin Kiesewetter, die daraufhin in ihrem Heimatort Oberweißbach beigesetzt wurde.

«Es ist uns völlig rätselhaft, was da im Bundestag erzählt wurde. Alle Zusammenhänge, die jetzt in die Welt getragen werden, sind konstruiert», sagt der Vorsitzende der Verwaltungsgemeinschaft Bergbahnregion/Schwarzatal, Bernhard Schmidt.

Die Darstellung von BKA-Chef Jörg Ziercke, es habe eine Konkurrenzsituation zwischen den Angehörigen Kiesewetters und der Jenaer Neonazi-Szene gegeben, weist Schmidt zurück. Die Familie der getöteten Polizistin habe sich im Frühjahr 2005 als Pächter des Gasthofs beworben, das Vorhaben dann aber aufgegeben, vermutlich um einen anderen Gasthof zu übernehmen. Bereits 1995 soll es Verhandlungen gegeben haben, die aber ebenfalls ergebnislos verliefen.

Im Oktober 2005, also ein halbes Jahr nach den gescheiterten Gesprächen, sei der Gasthof dann von einem Pächter aus Jena übernommen worden. Der Mann soll der Schwager von Ralf Wohlleben sein, dem ehemaligen Thüringer NPD-Landesvize.

Eine auf Oberweißbach zurückzuführende Verbindung zwischen den Neonazis um die mutmaßlichen Terroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt sowie Beate Zschäpe und der getöteten Polizistin aus Oberweißbach halte er für ausgeschlossen, sagt Schmidt. Eine Konkurrenzsituation habe es nicht gegeben.

Bürgermeister kritisiert BKA
Auch Oberweißbachs Bürgermeister Jens Ungelenk (parteilos) ist empört über das Vorgehen der Ermittlungsbehörden im Fall der mutmaßlichen Zwickauer Terrorzelle. «Es ist unverantwortlich, wenn derartige Halbwahrheiten und Einzeldetails veröffentlicht werden», sagte er dem MDR Thüringen. Durch die Berichte seien «unbescholtene Bürger» ins Kreuzfeuer geraten, kritisierte Ungelenk.

Die Einwohner der 1.800 Einwohner zählenden Gemeinde Oberweißbach weisen die jüngsten Veröffentlichungen ebenfalls zurück. Michèle Kiesewetter habe nie im Ortsteil Lichtenhain gegenüber der Gaststätte gewohnt, sagt eine Anwohnerin. «Das ist einfach gelogen.»

«So kommt das tote Mädchen dort oben doch nie zur Ruhe», meint eine andere Einwohnerin mit Blick auf den Friedhof in Oberweißbach, wo die junge Frau begraben liegt.

Foto: Wikipedia

24.11.2011  dv / wel