«Ich dachte, das ist ein sicheres Land»

XY-Preis 2023 für Yelyzaveta Kryshtal und Lothar Christen

XY-Preisträger Yelyzaveta Kryshtal und Lothar Christen

Silvester 2022: Yelyzaveta Kryshtal und Lothar Christen sind bester Laune. Beide freuen sich auf die bevorstehende Feier, als sie unabhängig voneinander eine U-Bahn-Station in Bochum erreichen. Als sie dort Zeugen eines äußerst brutalen Angriffs auf einen hilflosen Menschen werden, beweisen sie Mitgefühl, Empathie und große Hilfsbereitschaft.

Lothar Christen informiert die Polizei über die schreckliche Gewalttat. Nur wenig später kommt auch Frau Kryshtal am Ort des Geschehens vorbei, an dem die Täter immer noch mit aller Brutalität auf ihr Opfer einschlagen. Sie ist fest entschlossen einzuschreiten und ruft – der deutschen Sprache aufgrund ihrer gerade erfolgten Flucht aus der Ukraine noch nicht ausreichend mächtig – einen Freund an. Sie bittet ihn  eindringlich, die Polizei zu informieren.

Die durch Frau Kryshtal und Herrn Christen alarmierten Rettungskräfte treffen gerade noch rechtzeitig ein, um dem Geschädigten das Leben zu retten. Ermittlungen ergaben später, dass während des zweieinhalbstündigen Zeitraums über 50 Zeugen die Tat bewusst wahrgenommen haben und dennoch nicht eingeschritten sind. 

Begründung der Jury für  die Preisverleihung an Yelyzaveta Kryshtal und Lothar Christen:
«Aufgrund ihres vorbildlichen Verhaltens haben Frau Yelyzaveta Kryshtal und Herr Lothar Christen dabei geholfen, eine schwere Gewalttat zu beenden und dem Geschädigten das Leben zu retten.

Auch eine Sprachbarriere konnte die Ukrainerin Yelyzaveta Kryshtal nicht vom ihrem Mitgefühl gegenüber menschlichem Leid abhalten. Ebenso zögerte Herr Lothar Christen nicht, die Polizei über das Verbrechen zu informieren und somit das hilflose Opfer aus seiner lebensbedrohlichen Situation zu retten. Bei dem  Geschädigten handelte es sich um eines der schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft.

Mit ihrem Einschreiten haben Herr Christen und Frau Kryshtal vorbildlich und vorurteilsfrei gehandelt und Mitgefühl gezeigt. Fünfzig weitere Passanten, die ebenfalls Zeugen desselben Verbrechens wurden, griffen nicht ein. Für ihr richtiges Verhalten, ihre Achtsamkeit und Mitmenschlichkeit gebührt ihnen der XY-Preis 2023.     

 

Fragen an die beiden Preisträger:  

Wie haben Sie den Vorfall wahrgenommen? Was ging Ihnen durch den Kopf?
Lothar Christen: Das war ganz schlimm und außergewöhnlich. Was da passierte, ist unfassbar.

Yelyzaveta Kryshtal: Ich dachte, dass ich in ein sicheres Land gekommen sei. Daher war es schockierend, so eine Situation zu sehen. Ich bin in eine sichere Stadt gezogen und dann zu sehen, wie Menschen so auf einen anderen Menschen einschlagen, ist grauenhaft.


Hatten Sie keine Angst vor Angreifern?

Lothar Christen: War schon hemmend und fürchterlich, was die da gemacht haben. Die haben so auf diese Person eingehakt und alles Mögliche. Und das nahm kein Ende. Ich wollte zuerst einschreiten, aber dachte dann, dass ich an meine Sicherheit denken muss, da ich nicht wusste, was die mit einem machen. Dann habe ich den Notruf gesetzt.

Yelyzaveta Kryshtal: Für einen Augenblick hatte ich Angst und hab mich überfordert gefühlt. Aber in der Ukraine habe ich noch weitaus Schlimmeres erlebt. Trotzdem war es sehr schockierend. 


Wie denken Sie im Nachhinein über Ihr Handeln? Würden Sie heute wieder so reagieren?

Lothar Christen: Ja, selbstverständlich. Das würde ich jedem anderen auch empfehlen, das zu machen. Man sollte nicht einfach vorbeigehen und sagen: „Das wird schon werden.“ Man sollte da tatsächlich, wie bei der Ersten Hilfe bei einem Autounfall agieren. Die Selbsthilfe kann schaden, wenn man mit zu viel Mut drangeht und man damit sein eigenes Leben gefährdet. Man hadert auch, was man machen soll, ob man den Notruf rufen soll, ob man dabeibleibt oder wie auch immer. Das ist eine Sache, die man in Sekunden entscheiden muss. Ich würde jedem raten, das auch zu machen und zu helfen.

Yelyzaveta Kryshtal: Ich denke, dass ich alles richtig gemacht habe. So eine Situation hatte ich in Deutschland nicht erwartet, da für mich das Land immer friedlich und sicher war. Und so soll es auch bleiben. Falls ich so eine Situation nochmal sehen sollte, würde ich dasselbe tun. Nur hätte ich dann weniger Angst. Menschen sollten einander helfen. 


Freuen Sie sich auf die bevorstehende Preisverleihung?

Lothar Christen: Ich muss ganz ehrlich sagen, ich habe davon Abstand nehmen wollen. Ich habe das auf gar keinen Fall gemacht, um einen Preis zu erhalten oder damit in die Presse zu kommen. Ich wollte helfen und ich habe geholfen. Und damit war es für mich normalerweise schon erledigt. Ich wurde mehrfach darum gebeten, in dieser Runde mitzumachen. Daraufhin habe ich mir gesagt, dass wenn es hilft, wenn Leute das bei XY sehen, dann soll es so sein.

Yelyzaveta Kryshtal: Als mich die Polizei fragte, ob sie meinen Kontakt an den XY-Preis geben dürften, wusste ich gar nicht, was das ist. Ich habe dann einen Freund gefragt, ob er den Preis kennen würde, und wir haben dann zusammen recherchiert. Ich war erstaunt als ich herausgefunden habe, was der XY-Preis ist. Ich freue mich auf die Preisverleihung, die ganze Erfahrung ist sehr aufregend. 

 

Foto:  Securitel / ZDF 

23.11.23  wel