Der Verheimlicher

Mirco-Prozess: Gutachter beißt sich am Angeklagten die Zähne aus

Krefeld (dapd). Gesund und hochbegabt, aber auch unsicher, hysterisch und wenig stressresistent: Dieses Bild hat der psychiatrische Sachverständige Martin Albrecht vor dem Krefelder Landgericht vom mutmaßlichen Mörder des zehnjährigen Mirco aus Grefrath (Kreis Viersen) gezeichnet. Zugleich urteilte der Gutachter, aus psychiatrischer Sicht sei der angeklagte 45 Jahre alte Familienvater aus Schwalmtal voll schuldfähig.

Seine Bemühungen, sich ein genaues Bild von ihm zu machen, habe der Angeklagte Olaf H. zum Teil massiv torpediert, sagte Albrecht. Teilweise habe er nur unpräzise Angaben gemacht, viele Fragen, gerade zu seinem Sexualleben, habe er gar nicht beantwortet, berichtete der Gutachter. Der 45-Jährige sei «ängstlich darauf bedacht gewesen, zu verschleiern und zu verheimlichen». Dies gelte auch für seine Version der Tat. Olaf H. habe ihm eine Geschichte erzählt, «die weitab ist von der Realität», sagte Albrecht.

In der Abwehrhaltung des 45-Jährigen sieht der Gutachter das typische Verhalten von Kindsmördern. Diese Täter tendierten wegen der «erheblichen gesellschaftlichen Stigmatisierung» dazu, Sachverhalte zu verschleiern, sagt Albrecht. Olaf H. hatte bei der Polizei und vor Gericht immer wieder Aussagen gemacht, die er anschließend korrigierte oder die nach Zeugenaussagen in Zweifel gezogen wurden.

Dass sowohl Olaf H. als auch ihm nahestehende Menschen beteuerten, der 45-Jährige sei keineswegs pädophil, bedeute nicht, dass der Familienvater den ihm zur Lasten gelegten Missbrauch und den anschließenden Mord nicht begangenen habe, betonte Albrecht. Seiner Einschätzung nach sei es dem Angeklagten weniger um eine sexuelle Befriedigung, als um das Erleben eines Allmachtsgefühls durch Unterdrückung eines anderen gegangen.

Hatte beruflicher Stress labilisierende Wirkung“?
Als Auslöser für die Tat kommt nach Einschätzung des Gutachters beruflicher Stress durchaus infrage – auch wenn sich während der Verhandlung die Zweifel mehrten, dass es tatsächlich wie vom Angeklagten angegeben am Tattag ein Streitgespräch zwischen ihm und seinem Chef gab. Es sei jedoch «mit einiger Wahrscheinlichkeit» davon auszugehen, dass die allgemeine berufliche Situation, die Olaf H. offenbar als belastend erlebte, eine «labilisierende Wirkung» auf den Angeklagten gehabt habe, was sich schließlich in Missbrauch und Mord entladen habe, sagte Albrecht.

Zum möglichen Tathergang sagte der Gutachter, bei Olaf H. hätten sich Fantasien zu einem Kindesmissbrauch eingestellt, wodurch er ein Allmachtsgefühl erleben wollte. Seine Erregung sei gestiegen, sein Machtgefühl habe er «bis zum Exzess» ausgelebt, der in Mircos Tötung endete. Zu beweisen sei diese Version allerdings nicht, räumte Albrecht ein. Zu einer möglichen Wiederholungsgefahr wollte sich der Gutachter nicht äußern.

Am Montag (26. September) werden die Plädoyers erwartet  Das Urteil soll am kommenden Donnerstag (29. September) verkündet werden. Olaf H.s Verteidiger kündigte ein Schlusswort seines Mandanten an, das sich auch an Mircos Eltern richten werde.

24.09.2011 dv