München (dapd-bay). Der Anrufer gibt sich als Enkel aus und fragt nach einer Finanzspritze für einen Hauskauf. Das Geld bleibt ja in der Verwandtschaft, denkt sich die 88 Jahre alte Dame am anderen Ende des Hörers und händigt später einer scheinbar vertrauenswürdigen Freundin des angeblichen Enkels 70.000 Euro in Scheinen und Goldmünzen aus. Doch der angebliche Angehörige ist ein Betrüger und das Ersparte der Seniorin futsch. Sie ist auf den sogenannten Enkeltrick“ reingefallen.
Fälle wie der im oberbayerischen Fürstenfeldbruck sind 2012 im Freistaat sprunghaft angestiegen. Der Sprecher des Bayerischen Landeskriminalamts (BLKA), Ludwig Waldinger, klagt: „Die Fälle haben sich mehr als verdoppelt“.
34 Taten an einem Tag
Bis Juli 2012 wurde der Enkeltrick 579 Mal angewandt, dabei war die Masche mehr als hundert Mal erfolgreich. Im zweiten Halbjahr 2011 waren nur 123 Fälle angezeigt worden. „Beim Schaden ist der Vergleich noch viel gravierender“, fügt der LKA-Sprecher hinzu. Während die Trickbetrüger mit der Abzocke in der zweiten Vorjahreshälfte 260.000 Euro erbeuteten, sind es in diesem Jahr schon über 1,1 Millionen Euro.
Allein am vergangenen Dienstag zählte das LKA im Freistaat 34 Enkeltrick-Delikte mit einem Gesamtschaden von über 100.000 Euro. Die Ermittler schätzen, dass noch weit mehr Menschen betrogen werden. „Viele schämen sich oder merken den Betrug nicht einmal“, erklärt Waldinger. Andere legten bei dubiosen Anrufen direkt auf und alarmierten nicht die Polizei.
Informationskampagne
Die Polizei geht davon aus, dass die Banden meist von Osteuropa aus operieren und jüngere Familienmitglieder als Helfer nach Deutschland schicken. Bei zwei solcher Geldboten klickten Anfang Juli die Handschellen. Ein 15 Jahre alter Junge wurde in Würzburg bei einer fingierten Geldübergabe geschnappt, Nürnberger Fahndern ging ein 17-Jähriger ins Netz.
Möglich machte dies eine Großoffensive der bayerischen Reviere. In Supermärkten, Arztpraxen und Apotheken liegt Info-Material für Senioren aus, um diese zu sensibilisieren. Darüber hinaus schult das LKA Bankangestellte, damit sie bei größeren Barabhebungen nachhaken. „Wir versuchen über alle möglichen Wege an die Leute ranzukommen“, betont Waldinger. Dennoch: Die Flut an Betrugsfällen zermürbt die Beamten.
Ältere haben Angst
Die Betrüger suchen gezielt nach möglichst altersschwachen oder dementen Opfern, wie ein Münchner Polizeisprecher erklärt. Die Täter erspähen in Geschäften zerbrechlich wirkende Rentner oder suchen in Telefonbüchern nach altbacken klingenden Namen.
Auch der Vorsitzende der Landesseniorenvertretung Bayern (LSVB), Walter Voglgsang, warnt. In diesem Jahr seien die Dreistigkeit und die Häufung der Enkeltrick-Fälle besonders brisant. „Man merkt, dass die Älteren Angst haben.“ Gerade am Telefon wüssten viele nicht, wie sie sich verhalten sollten, schildert Voglgsang. Die Furcht vor den kostspieligen Anrufen verunsichere die Senioren im Alltag.
Vorsicht am Telefon!
LKA-Sprecher Waldinger rät: „Das absolut Wichtigste ist, dass sie misstrauisch sind. Man darf keinesfalls über Familienangehörige oder finanzielle Angelegenheiten am Telefon sprechen.“ Die Trickbetrüger meldeten sich oft mit „Rate mal, wer dran ist“ und duzten die potenziellen Opfer. Das schaffe Vertrauen, erklärt Waldinger. Fordere ein Anrufer finanzielle Unterstützung, sollten die Betroffenen sich bei ihren Verwandten rückversichern. Schließlich empfiehlt das LKA, Fremden niemals Geld zu übergeben.
Foto: Polizei Sachsen
08.07.2012 wel
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