Sehr sensibles Gebilde

Gewalt in den Fußballstadien - wer bekommt das Problem in den Griff?

Hannover (Johannes Ehrmann/dapd). Eine Szene wie aus einem schlechten Katastrophenstreifen: Mehrere Dutzend behelmte Gestalten stehen Seit‘ an Seit‘ in uniformer Montur, ganz in schwarz mit grellgelben Dreiecken auf dem Rücken. Um sie herum eine tobende Menge: „Bullenschweine! Bullenschweine!“. Dann spritzt eine Flüssigkeit, Reizgas. Die Rufe werden noch wütender: „Bullenschweine!“ Rangeleien, es spritzt noch einmal, und die Menschen flüchten in die oberen Stadionränge. Dann wird Fußball gespielt. Hannover 96 schlägt den FC Bayern. Ein Fest namens Fußball wird gefeiert.

Die Filmrolle spult sich immer schneller ab. In den Hauptrollen: Deutschlands Fußball-Fans und die Polizei. Hannover erlebte am vergangenen Sonntag eine Stufe der Eskalation.

Überraschend konnte sie nicht kommen. Es braucht nicht viel Fantasie, um die kürzlich gescheiterte Initiative zur Legalisierung von Pyrotechnik mit dem offen ausgetragenen Konflikt zwischen Ordnungsmacht und hartem Kern der Kurve zu verbinden; das Verhältnis steuert auf einen neuerlichen Tiefstand hin.

„Wie eine Machtdemonstration“
„Es ist ein Novum, dass sich die Polizei so verhalten hat“, sagt Jannis Busse von den Ultras Hannover. „Wir sind sehr massiv angegangen worden von den anwesenden Ultras“, sagt Polizeisprecher Thorsten Schiewe. Die Fans hätten mit Fahnenstangen auf die Beamten eingeprügelt, Bierbecher seien geflogen. „Es war eine sehr bedrohliche Situation.“ Die Fans sehen das anders: „Die Polizei kam und hat sich ein bisschen ausgetobt“, sagt Busse. „Es wirkte auf uns wie eine Machtdemonstration.“

Es ging im Kern auch bei diesem Fall um Pyrotechnik. Der Ordnungsdienst hatte Hinweise erhalten, dass Bengalische Feuer ins Stadion geschmuggelt wurden, wollte die Fahnen und Doppelhalter der Ultras im Block filzen. Die weigerten sich und sollen das Sicherheitspersonal bedroht haben, das daraufhin die Polizei rief. Dann geriet die Situation außer Kontrolle.

Ähnlich wie am Tag zuvor in Kaiserslautern. Der SC Freiburg ist zu Gast, während des Spiels filmt die Stadionüberwachung zwei Freiburger Fans, die Pyrotechnik zünden. „Was uns fehlte, waren die Personalien“, sagt Wolfgang Denzer vom Polizeipräsidium Westpfalz. Seine Kollegen werden, wie in Hannover, vom überforderten Ordnungsdienst zu Hilfe gerufen. „Daraufhin haben sich die ganzen Dinge hochgeschaukelt“, sagt Denzer. Einem Beamten sei in den Unterleib getreten worden, es habe  Widerstandshandlungen“ gegeben.

Die „Supporters Crew Freiburg“ hat ihrerseits schwere Anschuldigungen gegen die Polizisten erhoben. „Das aggressive Auftreten der Mehrheit der Polizeibeamten war sehr erschreckend“, heißt es in ihrem Protestschreiben. Einem Fan seien „bei dem Versuch einer am Boden liegenden Frau aufzuhelfen“ von einem Polizisten vier Zähne ausgeschlagen worden. „Von Anfang an entstand der Eindruck, dass ein Teil der Sicherheitsorgane von sich aus die Konfrontation suchte.“ Die Gegenseite widerspricht dem: „Das ist keine Geschichte, die von der Polizei ausging“, sagt Denzer.

Totales PR-Desaster
An Schuldzuweisungen mangelt es auf beiden Seiten nicht. Spätestens seit dem Pokalspiel von Dortmund, bei dem Dresdner vor und im Stadion randalierten und im Block wild zündelten und Böller warfen, sind die Reizworte „Pyrotechnik“ und „Ausschreitungen“ in der öffentlichen Debatte untrennbar.

Die vergangene Woche war ein totales PR-Desaster für die bundesweite Fan-Initiative zur Legalisierung von Pyrotechnik, die für das sichere Abbrennen von Bengalos streitet. Die Verantwortlichen haben sich längst in Sarkasmus geflüchtet. „Ich weiß gar nicht, ob es uns noch weiter zurückwerfen kann“, sagte Hannover-Ultra Busse, der auch Sprecher der Kampagne ist. „Alles, was wir geglaubt hatten, erreicht zu haben, war ja letztendlich das Papier nicht wert, auf dem es stand.“ Busse meint die Gespräche zwischen Ultra-Vertretern und Deutschem Fußball-Bund (DFB), bei denen sich beide Seiten zunächst anzunähern schienen. Anfang September aber erteilte der DFB den Ultras eine Absage. Die Fans fühlen sich hintergangen – und in den den Kurven brennt es mehr denn je.

„Manche sagen sich, darüber reden und darauf verzichten hat nichts gebracht, daher zünden wir jetzt erst recht. Das ruft natürlich eine Reaktion auf der anderen Seite hervor“, sagt Busse.

„Ich finde das sehr bedauerlich und von beiden Seiten sehr unglücklich“, sagt der Anwalt der Kampagne, Benjamin Hirsch, zur jüngsten Entwicklung. „Bei dem Phänomen der Ultras haben wir es mit einem sehr sensiblen Gebilde zu tun, das teilweise ein sehr großes Problem mit Institutionen hat. Man sieht jetzt, was für Probleme auch in diesem ganzen Umfeld schlummern. Von daher wäre es wichtig gewesen, den Dialog fortzusetzen. Man hat die einmalige Chance gehabt, einige der bedeutendsten Ultraszenen unter einen Hut zu bekommen“, sagt Hirsch.

Dass zum Dialog zurückgekehrt werden kann, erscheint derzeit utopisch. Weil beide Seiten mächtig Öl ins Feuer gießen – und immer häufiger und heftiger aneinandergeraten. Hannovers Klubchef Martin Kind dachte laut darüber nach, DFB-Strafen auf die Eintrittspreise in der Fankurve umzulegen. Eine weitere Provokation für die Kommerz-Gegner im Block. Das mühsam aufgebaute Vertrauen ist dahin.

Ein vermeintlicher Auslöser der wüsten Szenen von Hannover wurde dann übrigens noch gefunden: Eine Zigarettenschachtel, in der laut Polizei Hannover Pyrotechnik versteckt war: „Wir konnten sie aber keiner Person zuordnen.“

29.10.2011 dv