Verdacht an der Spree

Wie die Verantwortlichen und die Medien mit dem Bombenalarm im Kanzleramt umgingen

Berlin (Stefan Lange / dapd). Möglicherweise Sprengsatz im Kanzleramt gefunden.“ Die Nachricht löst bei den Hauptstadtjournalisten am späten Dienstagnachmittag Medienalarm aus. Um 16 Uhr ist es zunächst nur eine Handvoll Journalisten, die sich vor der „Waschmaschine“ neben der Spree versammelt. Eine Nachrichtenagentur ist mit ihren Leuten da, der Videojournalist einer großen Tageszeitung hat seine Kamera aufs Stativ gepflanzt. Zu sehen und zu filmen ist eigentlich nichts. Die massiven Tore des Kanzleramtes sind offen, Polizisten patroullieren wie üblich vor dem Gebäude. Ein Beamter erteilt inoffiziell Auskunft: Seit einer halben Stunde läuft der Betrieb im Gebäude wieder normal.

Klar ist bis dahin nur, dass es einen Vorfall in der Poststelle des Kanzleramtes gegeben hat. Die Poststelle ist nicht direkt in dem Gebäudekomplex untergebracht, sondern daneben, in Richtung Tiefgarage.

Gegen 16.15 Uhr hat sich Zahl der Journalisten nahezu verzehnfacht, gut 40 Medienvertreter sind versammelt, und endlich bekommen sie ihr Bild: Ein weißer Kastenwagen der Polizei bahnt sich den Weg nach draußen, Blaulicht auf dem Dach, an der Seite einer kleiner Polizei-Aufkleber. Einige der Journalisten sind sich sicher, dass in dem Wagen Sprengstoffexperten sitzen. Klar ist nur, dass im Kanzleramt Entwarnung gegeben wurde.

Arbeit lief normal weiter
Mitarbeiter berichten später, dass in den Büros der rund 450 Mitarbeiter die Arbeit ganz normal weiterlief. Das verdächtige Päckchen wurde demnach wie üblich in der Poststelle bearbeitet; nachdem Mitarbeiter Verdacht schöpften, wurde die Berliner Polizei alarmiert. Aus Sicherheitsgründen gab es eine kurzzeitige Sperrung der Zufahrt zum Kanzleramt.

Die Journalisten sind zunächst auf weitere Vermutungen angewiesen, um 16.20 Uhr verschickt das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung eine Mitteilung, in der Regierungssprecher Steffen Seibert den Vorfall grundsätzlich bestätigt, aber auf die weiteren Ermittlungen verweist.

Bis 17.00 Uhr treffen immer noch neue TV-Teams und andere Journalisten vor dem Kanzleramt ein. Ein lokaler Radiosender hat gar eine Liveschaltung laufen, die Journalistin vor Ort fragt in ihrer Not andere Journalisten nach ihrer Einschätzung – und erntet überwiegend ein wenig sendetaugliches Achselzucken. Mittlerweile ist es nicht nur sehr kalt, es wird auch immer deutlicher, dass hier vor dem Kanzleramt nichts mehr vor die Linse oder vors Mikrofon zu bekommen ist.

Gefährlicher Inhalt
Weiteren Nachrichtenstoff bekommen die Journalisten dann wieder um 18.30 Uhr geliefert. Regierungssprecher Seibert gibt ein Statement – im Bundespresseamt. „Der Inhalt war geeignet, Menschen zu verletzen“, sagt er, und: Das – wohl aus Griechenland kommende – verdächtige Paket war an Bundeskanzlerin Angela Merkel persönlich gerichtet. Die CDU-Vorsitzende war tagsüber in Belgien, sie kehrte erst am Abend in die Regierungszentrale zurück.

Im Oktober 2001 waren innerhalb kurzer Zeit zwei Mal Briefe mit einer „pudrigen Substanz“ im Kanzleramt aufgetaucht. Sie lösten beide Male Milzbrand-Alarm aus, erwiesen sich im Nachhinein aber als harmlos. Von dem Päckchen, das am Dienstag im Kanzleramt gefunden wurde, lässt sich das offenbar so nicht sagen. Die Journalisten werden in den nächsten Tage noch viel darüber zu berichten haben.

Foto: Dieter Schütz / pixelio.de

03.11.2010 dv