Die Hass-Straße

1. Mai, 17.15 Uhr, Bornholmer/Ecke Malmöer Straße.

Der Veranstalter ist entnervt. Wir wollen nicht mehr. Es gibt eine neue Forderung der Polizei. Die werden wir nicht mehr akzeptieren. Ich erkläre unsere Demonstration hier für beendet. Von nun an bin ich für nichts mehr verantwortlich zu machen.“

Plötzlich Stille auf der Straße. Stundenlang war es um die rund 700 Neonazis aus ganz Deutschland infernalisch laut gewesen. Auf den Balkonen standen Menschen und schlugen mit Töpfen gegen die Geländer. Den Zug der Demonstranten begleiteten auf beiden Seiten Hunderte, die Trillerpfeifen und ähnliches bei sich hatten. Und die nicht müde wurden, zu skandieren: „Nazis raus! Wir wollen Euch hier nicht! Auf Wiedersehen!“ Oder die sich lautstark des gesamten Vokabulars schlimmster Beleidigungen bedienten.

In den Reihen der Gegendemonstranten marschierten gruppenweise die Polizisten in schwerer Montur mit, die rechten Demonstranten wurden ebenfalls beidseitig in zwei Reihen von gefechtsbereiten Beamten begleitet. Ein lärmender Zug von feindseligen Menschen – gebändigt von Kohorten höchst angespannter Deeskalierer.

Die Polizisten haben die Nerven nicht verloren. Die rüpelhaftesten Gegendemonstranten wurden aus dem Verkehr gezogen. Der Lärm und die Beleidigungen wurden ignoriert. Man hatte sich in der Gewalt.

Und nun das! Der Veranstalter gibt die Verantwortung ab. Ein paar quälende Minuten, bis bei ihm Fahnen und Banderolen abgeliefert sind, dann beginnt das Geleit der Rechten zu einem Parkplatz in der Nähe der S-Bahn. Dort marschieren die Rechten – müde, erschöpft, ruhig – ins umgitterte Karree  und warten auf alles Weitere. Sie sitzen auf dem Boden und trinken Wasser. Sie stehen rum und unterhalten sich. Demo zu Ende, jetzt aber nichts wie weg von hier. Überall rundherum Polizisten, und ein paar Grüppchen mit desinteressierten Journalisten. Keine Trillerpfeifen und keine Beschimpfungen mehr. Erst einmal kurz verschnaufen.

Die Zufriedenheit danach
Am Gitter lehnt auch ein gut aussehender Mittvierziger in schwarzer Kluft. Er lächelt auf die Frage, wie er sich denn gefühlt habe bei diesem Spießrutenlauf durch die Borholmer.

„Ach wissen Sie“, sagt Sven R., „ich mache das nicht zum ersten Mal.“

Warum tun Sie es denn überhaupt?

„Ich habe eine Überzeugung, und die will ich bei so einer Demonstration öffentlich vertreten.“

„Hatten Sie denn keine Angst, dass das hier eskaliert?“

Nein, meint der Mann der als Finanzberater bei Hannover sein Geld verdient. „Erstens hat die Polizei – soweit ich das beurteilen kann – ganz gut gearbeitet. Und es gibt natürlich bei uns junge Leute, die wegen der ganzen Beleidigungen austicken könnten. Aber deswegen gehen ja wir Älteren mit; wir sorgen hier schon dafür, dass alles im Rahmen bleibt.“

Um R. haben sich drei Bodybuilder aufgestellt, als wollten sie ihm Rückendeckung geben. Sie nicken zu jeder seiner Ausführungen.

Nun hört man eine Mikrophonstimme; jemand von der Polizei erklärt, der erste S-Bahn-Zug – „nur für Sie“ – stehe bereit. R. und seine Begleiter machen sich bereit. Auf, in die Stadt. Die Sonne steht fahl an einem freundlichen Himmel über Berlin, und einer der jungen Männer sagt aus vollem Herzen: „Mann, bin ich froh, wenn ich jetzt mein Bier krieg‘. Das hab‘ ich mir verdient.“

01.05.2010 dv