Kavaliersdelikt mit Zuwachsraten

Steigende Spritpreise lassen Fälle von Benzinklau drastisch ansteigen

Ottobrunn/Kempten (dapd-bay). An der Zapfsäule einer Tankstelle in Oberbayern hält ein scheinbar ganz normaler Kunde. Doch der Fahrer tankt seinen Wagen voll, füllt zwei Kanister und fährt – ohne zu bezahlen. Beim Verlassen des Geländes winkt er dem Tankstellenpächter Konrad Stockenreiter noch zu. Solche dreisten Fälle von Benzinklau haben drastisch zugenommen – besonders seit der Sprit so teuer sei, wie der Betreiber der Bavaria Petrol in Ottobrunn berichtet. Die sogenannten Tankbetrügereien seien zum Kavaliersdelikt geworden, weil die meisten Fälle nicht einmal verfolgt würden, klagt er. Um die Langfinger abzuschrecken, hat Stockenreiter seine Tankstelle nun mit 36 Kameras ausgerüstet.

Denn diese Woche jagte ein Benzinrekordstand den nächsten und eine Entspannung ist so schnell nicht in Sicht, wie eine eine Sprecherin des Automobilclubs ADAC sagt. Ein Liter Super E10 kostete zur Wochenmitte 1,692 Euro. Diesel knackte mit 1,54 Euro je Liter sogar das Allzeithoch. Wie aus dem Autokosten-Index des ADAC und des Statistischen Bundesamts vom April hervorgeht, stiegen die Spritkosten seit 2005 um fast 40 Prozent. Und der Trend zeigt dem Automobilclub zufolge weiter nach oben.

Auch in anderen Teilen Bayerns klagen daher immer mehr Tankstellenpächter über den zunehmenden Benzinklau, wie der Vorsitzende des bayerischen Tankstellenverbands, Günter Friedl, sagt. Es rentiert sich einfach mehr, wenn der Sprit teuer ist. Gleichzeitig tut es dem Tankstellenpächter dann mehr weh“, erklärt Friedl. Wie er mutmaßt auch die Polizei, dass die Rekordpreise für Benzin in diesem Sommer nicht ganz unschuldig an den zunehmenden Diebstählen sind. „Es ist schon mehr geworden, seit der Sprit so teuer geworden ist“, sagt etwa ein Polizeisprecher in Kempten.

Aufklärungsquote bei 50 Prozent
Nach Angaben des bayerischen Landeskriminalamtes (LKA) stiegen die Benzindiebstähle von 2010 auf 2011 um fast fünf Prozent auf 9.763 Fälle. Dabei entstand ein Schaden von mehr als einer halben Million Euro. Die Beamten schätzen, dass die Zahl der Tankbetrügereien in diesem Jahr erneut um mehrere hundert anschwellen wird. Der Trend zum unbezahlten Tanken habe sich von Januar bis Juli im Vergleich zum Vorjahr nochmals verstärkt, sagt LKA-Sprecherin Claudia Vodermaier. Aktuell gebe es vor allem in Niederbayern, Mittelfranken und Oberfranken deutlich mehr Zapfsäulendiebstähle. Geschnappt werde im Schnitt aber nur jeder zweite Benzindieb.

Auch in Schwaben hat die Polizei alle Hände voll zu tun: In der Region um Kempten hat sich der Benzinklau in den vergangenen Jahren mehr als verfünffacht. Tankten 2007 noch 120 Autofahrer, ohne zu bezahlen, wurden im vergangenen Jahr 645 solcher Fälle angezeigt. In diesem Jahr wurden schon 393 Anzeigen registriert. Einen richtig dicken Fisch habe die Polizei allerdings zu Jahresbeginn geschnappt, erzählt Sprecher Jürgen Krautwald. Ein Gauner klaute über mehrere Monate Benzin und bunkerte rund 3.000 Liter in einem Gartenhäuschen in Tanks. Er flog auf, als er einem Tankwart mehrere Tausend Liter Diesel zum „Spottpreis“ von einem Euro je Liter zum Kauf anbot.

Mineralölkonzerne am Zug
Ein schwäbischer Tankstellenpächter erzählt, der Kemptener Wiederholungstäter sei kein Einzelfall. In der Region habe fast jeder Tankstellenbetreiber mit solchen Sprit-Langfingern zu kämpfen. „In Kempten hat jeder das Problem. Da kommen die Leute und winken sogar noch“, sagt er. Die Pächter blieben auf den Verlusten sitzen, weil die meisten Delikte nicht verfolgt würden. Viele Tankstellenbetreiber wagten aus Angst vor Restriktionen der Mineralölkonzerne aber nicht, darüber zu sprechen.

Darin sieht auch der Bundesverband Tankstellen und Gewerbliche Autowäsche Deutschland (BTG) ein Problem. Hinzu komme, dass die Pächter sich nicht richtig vor Benzinklau schützen könnten, klagt Geschäftsführerin Sigrid Pook. „Tankbetrug, das ist ein Problem, da kann weder der Pächter noch die Polizei noch die Politik etwas tun“, meint sie. „Schön wäre natürlich, wenn sich die Mineralölkonzerne einmal bewegen würden.“ Beispielsweise könnte eingerichtet werden, dass vor dem Tanken bezahlt werden muss, schlägt Pook vor.

26.08.2012 Ta