«Mafia» auf Mitleidstour – Städte gehen gegen aggressives Betteln vor

Wer mit einem Schild «Ich habe Hunger» um Almosen bittet, hat in Deutschland meist nichts zu befürchten. Die Behörden gehen aber gegen «aggressives Betteln» vor. Doch wo fängt das an?

 

Hamburg/München (dpa) – Aggressives Betteln ist in Deutschland verboten – es geht aber auch kreativer, als einfach demütig die Hand aufzuhalten. Manke etwa sitzt fast jeden Tag vor dem Hamburger Hauptbahnhof und zeigt eine große Tafel, die viele Passanten schmunzeln lässt. Die Aufschrift: «Brauche Geld für Gras!» Daneben ist eine kleine rote Hanfpflanze zu sehen. Immer wieder bleiben Touristen stehen und wollen Bilder von oder mit dem jungen Mann und seinem Schild machen.

Ich erniedrige mich nicht, ich schnorre.
Manke (27) bettelt für «Gras»

Manke, wie der 27-Jährige sich selbst nennt, braucht jeden Tag vier Gramm Marihuana – aus medizinischen Gründen, sagt er. «Ich bin manisch-depressiv.» Von seinem Arbeitslosengeld könne er sich die 20 bis 40 Euro teure Tagesdosis nicht leisten. Er hofft, dass Cannabis als Medikament bald legalisiert und von der Krankenkasse bezahlt wird. Als Bettler sieht er sich nicht. «Ich erniedrige mich nicht, ich schnorre», betont er.

Die reinste «Bettelmafia»
Vielleicht würde Manke damit sogar bei der Hamburger CDU auf Verständnis stoßen, die passives Betteln als Teil des Stadtbilds akzeptiert. Etwas völlig anderes sei aber die gewerbsmäßige Bettelei, erklärt der Bürgerschaftsabgeordnete David Erkalp. Osteuropäische Betteltrupps bedrängten immer wieder Passanten. Gegen die «Bettelmafia», wie er es nennt, fordert Erkalp ein entschlossenes Vorgehen.

Nach Angaben der Hamburger Polizei gibt es derzeit allerdings kaum Beschwerden. Die Beamten schritten bei aggressivem Betteln ein, versichert ein Sprecher. Was darunter zu verstehen ist, variiert in Deutschland. Der Hamburger Polizeisprecher nennt als Beispiel die «Klemmbrett-Masche». Dabei werden Passanten mit der Bitte um eine Unterschrift für einen guten Zweck abgelenkt, während ein Komplize des Sammlers den Interessenten bestiehlt. Anfang des Jahres sorgten die «Klemmbrett-Sammler» für Beunruhigung in der Hamburger Innenstadt, seit dem Sommer hat die Polizei aber keinen einzigen Fall mehr registriert.

Wunden und Behinderungen als Mitleidsfaktor
In München fällt unter aggressives Betteln das Festhalten von Passanten, aber auch das Zurschaustellen von Wunden, wie Johannes Mayer vom Kreisverwaltungsreferat erklärt. In Frankfurt ist damit nach Angaben des Ordnungsdezernats «nachdrückliches oder hartnäckiges Ansprechen von Personen» gemeint. In Stuttgart versteht man unter Betteln in aggressiver Form auch, wenn mit Kindern, Tieren oder in Demutshaltung um Geld gebeten wird. In Leipzig sollen künftig Geldbußen verhängt werden, wenn Kinder beim Betteln als mitleiderregende Druckmittel missbraucht werden.

Solche Sanktionen sind jedoch nicht ganz einfach durchzusetzen, wie Erfahrungen aus Frankfurt zeigen. Für den Nachweis aggressiven Bettelns brauche man Zeugen, die aber oft schon wegen des zeitlichen Aufwands zu keiner Aussage bereit seien, sagt Andrea Brandl, Referentin des Ordnungsdezernenten. Außerdem könne der Bescheid dann oft nicht zugestellt werden oder die Betroffenen seien zu arm. Daher seien in diesem Jahr erst zehn Verfahren mit der Zahlung eines Bußgeldes rechtskräftig abgeschlossen worden.

Die Frankfurter Stadtpolizei stelle – weil viele nicht zahlten – oft schon den Inhalt der Becher, die zum Geldsammeln genutzt werden, sicher. Da diese aber selten voll seien, weil das Geld vorher an Mittelsmänner abgeführt werde, sei diese Einnahme gering.

Bußgeld – woher nehmen?
In Berlin ist seit Anfang des Jahres das Betteln von und mit Kindern verboten. Wer erwischt wird, muss mit einem Bußgeld von bis zu 500 Euro rechnen. Jedoch hapere er an der Umsetzung. «Es kann gesetzlich verboten werden. Aber es muss jemanden vor Ort geben, der es durchzieht», sagte Neuköllns Bezirksbürgermeisterin Frankziska Giffey. «Da genügt das Personal, was wir haben, nicht».

Dennoch kann ein verschärftes Vorgehen Wirkung zeigen, so in München. «Die Maßnahmen gegen die verbotenen Bettelformen haben einen deutlichen Erfolg gebracht, das sieht man auch auf den Straßen», sagt Mayer vom Kreisverwaltungsreferat. Seit August 2014, als eine Allgemeinverfügung gegen aggressives und organisiertes Betteln in der Landeshauptstadt in Kraft trat, seien mehr als 1.000 Anzeigen der Polizei bei der Behörde eingegangen.

In Stuttgart sprechen Mitarbeiter des Städtischen Vollzugsdienstes auf ihren Streifengängen Platzverweise aus, beschlagnahmen Bettelgeld und verfolgen Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten. Seit Mai seien bereits mehr als 1.000 Personen kontrolliert worden, sagt ein Stadtsprecher. Das Betteln sei spürbar zurückgegangen.

Wer nicht zahlt, fährt ein
Besonders hart geht Nürnberg gegen aggressive und organisierte Bettler vor. Die Stadt verhängt nach einer Anzeige in der Regel Geldbußen zwischen 50 und 550 Euro. Wer nicht zahlt, könne in Erzwingungshaft kommen, erklärt Polizeisprecherin Elke Schönwald.

Von der Verstärkung des Ordnungs- und Verkehrsdienstes in Köln profitieren indessen nach Darstellung des Ordnungsamts nicht nur die Touristen, sondern auch die Bettler selbst: «Viele sagen, sie betteln mit ihrem wenigen Hab und Gut lieber in der Innenstadt. Da fühlen sie sich unter Beobachtung des Ordnungsamts einfach sicherer und keiner bestiehlt sie», sagt ein Sprecher.

26.10.2016 wel