Berlin (Detlef Vetten) Nach der ersten Folge bleibt ein ganz schaler Beigeschmack. Da hat ein Redaktionsteam sich auf die Spuren von Pädophilen und mutmaßlichen Kinderschändern gesetzt, hat einige von ihnen bei ihren widerlichen Versuchen, via Internet in Kontakt mit Minderjährigen zu kommen, heimlich gefilmt und sie dann zu einer peinlichen Inquisition vor laufender Kamera genötigt.
Handwerklich ist Tatort Internet“ Trash-TV nach dem Muster von „Frauentausch“ oder „Dschungel-TV“. Schnelle Schnitte, mieser (weil angeblich Docu-) Ton, schein-seriöse Faktenvermittlung aus dem Off.
Verhör vor laufender Kamera
Dann das Verhör, dem auch der Personenschützer Wittek beiwohnt, der sich in München zu jeder unpassenden Gelegenheit vor die Kamera drängt, seit er den Modezaren Moshammer bewacht und solchermaßen eine kleine Berühmheit an der Isar erlangt hat. Eine sendungsbewusste Journalistin klagt an und eröffnet dem Ertappten, man werde seine Causa an die Behörden weiter geben.
Dann kommen die Freifrau und der Ex-Innensenator zu Wort. Leider, müssen sie immer wieder erklären, habe die Anzeige nichts gebracht. Wieder einmal sei ein Mann durch die Maschen geschlüpft.
Und Frau zu Guttenberg wird nicht müde, zu vermitteln, dass man endlich den Tätern das Handwerk legen und sie schon bei der Annährerung an die Opfer aus dem Verkehr ziehen müsse.
Straffrei oder nicht straffrei?
Es klingt so, als ob das so genannte „Grooming“ ein straffreies Unterfangen wäre. Doch Stephanie zu Guttenberg weiß es natürlich besser. Rekapitulieren wir noch einmal, was im Gesetzbuch steht:
„§ 176 Sexueller Mißbrauch von Kindern
(1) Wer sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen läßt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer ein Kind dazu bestimmt, daß es sexuelle Handlungen an einem Dritten vornimmt oder von einem Dritten an sich vornehmen läßt.
(3) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr zu erkennen.
(4) Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer
1. sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt,
2. ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen vornimmt, soweit die Tat nicht nach Absatz 1 oder Absatz 2 mit Strafe bedroht ist,
3. auf ein Kind durch Schriften (§ 11 Abs. 3) einwirkt, um es zu sexuellen Handlungen zu bringen, die es an oder vor dem Täter oder einem Dritten vornehmen oder von dem Täter oder einem Dritten an sich vornehmen lassen soll, oder
4. auf ein Kind durch Vorzeigen pornographischer Abbildungen oder Darstellungen, durch Abspielen von Tonträgern pornographischen Inhalts oder durch entsprechende Reden einwirkt.
(5) Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer ein Kind für eine Tat nach den Absätzen 1 bis 4 anbietet oder nachzuweisen verspricht oder wer sich mit einem anderen zu einer solchen Tat verabredet.
(6) Der Versuch ist strafbar; dies gilt nicht für Taten nach Absatz 4 Nr. 3 und 4 und Absatz 5.“
Was bringt „Tatort Internet“?
So liest sich das – und das ist die Messlatte der Ermittler, der Richter und Anwälte. Wie hilfreich ist denn dann ein Projekt wie „Tatort Internet“?
Ja, sicher werden die Bürger für ein Thema sensibilisiert, das größte Aufmerksamkeit verdient. So weit, so gut.
Aber ist da nicht auch etwas Anderes?
RTL II generiert sich wie ein Blockwart der Moderne. Da formiert sich eine Bürgerwehr des neuen Jahrtausends. Nach der Pressevorführung fragte ein „Bild“-Journalist vorsichtig, ob so eine effektheischerische Sendung denn wirklich das richtige Stilmittel für so ein ernstes Thema sei. Stephanie zu Guttenberg, die zu dem Termin in züchtigem schwarzen Hosenanzug erschien, war auf diesen Vorwurf vorbereitet. „Unsere Erfahrung ist, dass sich kein Mensch damit auseinandersetzen will“, erklärt sie und wurde nicht müde, sich für den „Mut“ von RTL 2 zu bedanken, sich zur Primetime sexuellem Missbrauch zu widmen.
Die Dame ist erstaunlich: Einerseits baut sie sich gerade als Sauberfrau der Nation auf. Andererseits wirkt sie an einem Fernsehformat mit., das eigentlich ihren eigenen ästhetischen und moralischen Überzeugungen völlig zuwider läuft. Doch sie lächelt und lächelt und lächelt.
Wer das nicht mehr sehen mag, kann sich getrost in die Realität zurück beamen. Während nämlich die Freifrau lächelnd Kinderschänder jagt, wird auf „ihrem“ Sender zur selben Zeit im Telelext für die Porno-Queen Gina Wild, „Traumfrauen in Deiner Nähe“. einen „Lesbenchat“ und ein „SM special“ geworben.
So sieht sie eben auch aus, die Primetime am Tatort RTL II.
Foto: Screenshot RTL II
08.10.2010 dv
„