Stuttgart (dapd). Mit Anspannung hatten der angeklagte Vater^des Amokläufers von Winnenden und Wendlingen und die Angehörigen der Opfer auf das Urteil gewartet. Regungslos lässt der 52-Jährige dann die fast dreistündige Verkündung des Landgerichts Stuttgart über sich ergehen, bei der er zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt wird. Als alles vorbei ist, fallen sich vor dem Gerichtssaal einige Angehörige der getöteten Opfer weinend in die Arme.
Dem angeklagten Vater des Schützen sei «kein Stellvertreterprozess gemacht worden», betont der Vorsitzende Richter Reiner Skujat am Ende des fünfmonatigen Prozesses. Da der Vater jedoch das Gefährdungspotenzial seines «psychisch instabilen» Sohnes nicht erkannt und auch dann nicht seine Waffe und Munition ordnungsgemäß verschlossen hatte, soll er nach dem Willen des Gerichts wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung bestraft werden.
Richter Skujat lässt sich vor der eigentlichen Urteilsbegründung viel Zeit, auf die hohen Erwartungen der 43 Nebenkläger einzugehen. Die Angehörigen hatten in Interviews stets die Hoffnung geäußert, mehr über die Hintergründe zu erfahren und eine bundesweite Diskussion über das Waffengesetz angestoßen.
Das Gericht könne nicht der Ort sein, um gesellschaftliche Geschehnisse wie einen Amoklauf zu ergründen oder eine Verschärfung eines Gesetzes zu fordern, hält Skujat dem entgegen. «Mit Mitteln des Strafrechts kann überhaupt kein gesellschaftliches Problem gelöst werden. Mit strafrechtlichen Sanktionen kann nur reagiert werden», sagt er an die Adresse der Nebenkläger. Ihre Frage nach dem «Warum» habe der Prozess ebenfalls nicht beantworten können.
Richter warnt vor Übergriffen auf Angeklagten
Den Angeklagten verschont er indes nicht mit schweren Vorwürfen. Mit seinem «komplettes Versagen» sei er mitverantwortlich, dass die Tat des 17-jährigen Tim geschehen konnte. Die Eltern hätten das Gefährdungspotenzial durchaus erkennen können.
Der 52-Jährige habe sich zwar in den Ermittlungen kooperativ verhalten. Dass er vor Gericht geschwiegen und auch keine Gespräche mit den Angehörigen gesucht habe, sei mit großem Unverständnis und Enttäuschung aufgenommen worden. «Die Chance, Verantwortung zu übernehmen, hat der Angeklagte nicht genutzt», schlussfolgert Skujat. Die Reue, die der 52-Jährige in seinem Schlusswort geäußert habe, nehme er ihm jedoch ab.
Der Richter lässt noch einmal das zeitweise bedrückende Verhandlungsklima Revue passieren. Die harten verbalen Auseinandersetzungen zwischen Verteidigung und Nebenklage seien für die Angehörigen mitunter schwer zu ertragen gewesen.
Die Flucht des Angeklagten aus dem Gerichtssaal nach einer Morddrohung aus dem Kreis der Nebenkläger sei jedoch zulässig gewesen. «Die nackte Angst um sein Leben und das seiner Familie hat einen ernsten Hintergrund gehabt», sagt er. Am Ende sieht sich der Richter sogar zu einer Warnung veranlasst: Sollte dem Angeklagten körperlich etwas zustoßen, wisse man, wohin man sich zu wenden habe. «Es hat im Prozess eine Entwicklung gegeben, die uns Angst gemacht hat», begründet er dies.
Geteiltes Echo bei den Angehörigen
Viele Angehörige, wie der Vorsitzende des Aktionsbündnisses Amoklauf Winnenden, Hardy Schober, sind sich ihrer Gefühle nach Ende des Prozesses nicht sicher. «Man muss es so hinnehmen, wie es ist», sagt er. Ihm wäre aber lieber gewesen, wenn der Vater eine gewisse Zeit ins Gefängnis gemusst hätte. «So hätte er auch Buße ableisten müssen. Eine Bewährungsstrafe ist so gut wie gar keine Strafe», befindet er.
«Enttäuscht» fühlt sich Herbert Abele, der seine Tochter verloren hat. Er hatte ein Jahr Freiheitsstrafe gefordert, damit der Vater Zeit zum Nachdenken bekomme. Der Prozess sei für ihn nicht leicht gewesen. «Aber ich habe es als meine Aufgabe gesehen. Das bin ich meiner Tochter schuldig», sagt er weinend.
11.02.2011 dv