Lügen aus der Internetgerüchteküche

Meldungen über kinderraubende Organmafia verunsichern Eltern

Karlsruhe (dpa). Besorgte Eltern rufen bei der Polizei an, weil sie über das Internet vor dem Diebstahl von Kindern gewarnt werden: «Diese Leute nehmen sogar Kinder aus Kinderwagen heraus», heißt es auf Facebook. Und über WhatsApp wird verbreitet: «Haltet euch von weißen Transportwagen fern!» Die unbekannten Verbreiter solcher Gerüchte warnen vor bulgarischen oder rumänischen Kinderdieben, die angeblich mit Organhändlern in Verbindung stehen. Die Mannheimer Polizei stellt klar: Alle Meldungen dazu sind falsch. Real sind die Folgen: In Mannheim, Sinsheim und Neckarbischofsheim schickten Eltern ihre Kinder aus Angst vor der «Organmafia» nicht mehr in den Kindergarten.

Jetzt wandte sich die Mannheimer Polizei «an alle, die diese Meldungen schon gehört haben oder noch hören werden» und betonte: «Alle Meldungen zur Organmafia sind falsch, ein Hoax, ein Fake, eine Mär – also frei erfundene Geschichten, die nur eines zum Ziel haben: Sie sollen Angst und Schrecken verbreiten.» Es handle sich um ein deutschlandweites Problem, sagte Polizeisprecher Norbert Schätzle. «Möglicherweise kommen die Warnungen von Leuten, die ein Interesse daran haben, dass diese Bevölkerungsgruppen diskreditiert werden.»

Mannheim oder auch Duisburg gehören zu den Städten mit einem großen Anteil von Zuwanderern aus Südosteuropa. Die Verbreiter der Gerüchte haben vor Kindesräubern dort sowie in Stuttgart, Essen oder Peine gewarnt und hinzugefügt: «Sie werden ganz Deutschland durchsuchen!»

Schattenseiten der schönen neuen Internetwelt
Fakes und Hoaxes gehören zum Internet dazu, weil Anonymität und schnelle Verbreitung – zwei wesentliche und meist auch vorteilhafte Kennzeichen des globalen Computernetzes – dazu einladen. In den Sozialen Medien mit ihrer Kultur des Teilens und der «Gefällt-mir»-Klicks ist der Schneeballeffekt besonders stark ausgeprägt. Die Ursprünge für den Organmafiafake liegen vermutlich bei einer Episode aus der Krimi-Reihe «Tatort» vom Februar 2011, wie das Internetportal «mimikama.at» recherchiert hat. In den vergangenen Wochen nahm die Verbreitung stark zu.

Die pauschale Verdächtigung von Rumänen und Bulgaren knüpft an Traditionen von jahrhundertealten rassistischen Vorurteilen an. Die Verleumdung von Bevölkerungsgruppen in einer Weise, die den öffentlichen Frieden stört, fällt unter Paragraf 130 des Strafgesetzbuchs, der Volksverhetzung unter Strafe stellt.

Die Verbreitung solcher Warnungen im Internet sei schwierig zu bewerten und bewege sich an der Grenze zur strafrechtlichen Relevanz, sagt die Düsseldorfer Rechtsanwältin Eva Dzepina. «Das ist das Perfide an diesen unbestimmten Gerüchten, weil man sie nicht fassen kann.» Die Weiterverbreitung durch das Teilen in sozialen Netzwerken bedeute nicht automatisch, dass sich jemand diese Äußerungen zu eigen mache. «Aber weil es im Netz so viele falsche und so viele manipulative Informationen gibt, muss man immer prüfen, wo diese herkommen, bevor man sie selbst weitergibt.»

05.05.2014 Ta